Corona – Bekämpfung von Obdachlosen durch unterlassene Hilfeleistung?

Am 16.11.2020 wurde Kolja aus seiner Eigentumswohnung trotz einer Räumungsaufschiebenden Beschwerde am Landgericht und der kalten Jahreszeit mit Amtshilfe von 20 Polizist*innen durch eine Gerichtsvollzieherin zwangsgeräumt, also auf die Straße gesetzt. Beschämend & perfide, dass der Polizist vor Ort behauptete, dass Kolja eine Ersatzwohnung hätte und nun aber als “Sofa Hopper” bei verschiedenen Freunden unterkommt. Die benannte “Ersatzwohnung” ist eine Massenunterkunft für Obdachlose, die sogar nach dem  § 17 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin kein Ersatzwohnraum darstellt.

Wie ein Journalist in der 50-igsten Ausgabe der Wochenzeitung Der Freitag treffend schrieb: “Jetzt geht es also wieder los, das Lockdown-Fieber erfasst die Republik.

Den Zeigefinger auf vermeintliche Massen voll besetzter Glühweinstände zu richten, ist einfach; denen ohne Auto und Homeoffice eine Busfahrt zur Arbeit mit Abstand zu ermöglichen, wohl zu schwer. Wieso ist die staatliche Versorgung von Altenheimen mit FFP2-Masken nicht längst flächendeckende Realität, wieso Tübingens Modell nicht überall Standard?

Weshalb gibt es nicht Deutschlandweit reservierte Einkaufszeiten und subventionierte Taxis für Senioren, zudem Gratis-Tests für Beschäftigte und Bewohner von Altenheimen, ebenso für deren Besucher?

Weshalb stimmt nur Argentinien, nicht aber das deutsche Parlament für eine Reichen-Abgabe, um den Kampf gegen die Pandemie zu bezuschussen?

Warum muss Verdi vor dem „Hotspot Versandzentren“ warnen, während Amazon auf dem Rücken seiner Arbeiterinnen von der Krise profitiert? ”

Die Frage ob Menschen ohne Wohnsitz, Menschen die seit Mitte Juni wieder zwangsgeräumt werden dürfen, einen niedrigeren Wert haben, als Alle anderen ist an dieser Stelle nicht von der Hand zu weisen.

Warum stehen laut einer Anfrage vom 06. November 2020 an das Berliner Abgeordnetenhaus immer noch ca. 4.080 Wohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften leer? Warum darf die Stadt und Land trotz Privatisierungs-stopp zwei
Zwei-Familien-Häuser verkaufen?

Quelle: Leerstand bei landeseigenen Wohnungsunternehmen

Warum, wie eine weitere Anfrage an das Abgeordnetenhaus vom 26. Oktober 2020 ergeben hat, gibt es bei der sehr renditeorientierten zu den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gehörenden Berlinovo Apartment GmbH (BAp) einen Leerstand von 11,6 % bei 6.623 Apartments mit einer Gesamtnutzfläche von 261.523 m²? Warum sind aktuell nur 232 Apartments an soziale Träger vermietet und die restlichen Apartments werden als Apartments auf Zeit vermietet und vermarktet?

Quelle: Nutzung von Apartments der Berlinovo zur Unterbringung von Geflüchteten

Am 15. Januar wird nach unserer Kenntnis ein 18-jähriges junges Mädel wohnungslos, uns erreichte gestern eine Anfrage, da eine Familie in 3 Monaten wohnungslos wird.

Wir sind ob des Verhaltens und des fehlenden politischen Willens, Obdachlosigkeit gerade jetzt kurz vor dem wiederkehrenden Lockdown sprachlos. Neben dem Leerstand bei den Landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gibt es noch zahlreichen Leerstand aus reinen spekulativen Gründen bei Privaten Vermieter*innen. Wenn selbst eine Beschlagnahmung durch obdachlose Menschen eines bezugsfertigen leer stehenden Hauses innerhalb von 12 Stunden geräumt wird, obwohl ein Antrag des Bezirkes Mitte vorliegt, der die Beschlagnahmung prüfen will, scheint die Infiltration der Immobilien-Verwertungsmaschine nicht mehr zu stoppen zu sein.

Im Grundgesetz in Art. 14 Abs. 2 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist, neben der Bekräftigung des Eigentums als ein elementares Grundrecht vor dem Hintergrund einer freiheitlichen Ordnung, die Sozialbindung verschiedentlich konkretisiert worden, auch in dem Sinne, dass nicht jedes Eigentum einer solchen Bindung unterliege, sondern nur solches, das soziale Relevanz habe.”

In einer Zeit, die durch eine weltweite Pandemie die soziale Relevanz in den Vordergrund unserer Gesellschaft rücken sollte, ist das Verhalten auf Allen Politischen Ebenen beschämend und Rückratlos und zeigt ganz klar erkennbar, dass jegliche Lobby der Gewinnorientierten Unternehmen mehr zu sagen hat, als die Pflicht gegenüber eines jeden Menschen`s verlangt.

In keiner einzigen Aussage von Politiker*innen auf Bundesebene und Landesebene wurde das Thema Obdachlosigkeit  und Zwangsräumungen im Zusammenhang mit der Pandemie nur ansatzweise erwähnt. In ebenfalls einer Anfrage an das Abgeordnetenhaus “Wie ist die Berliner Wohnungsnotfallhilfe für die Corona-Pandemie aufgestellt ist”, werden die Vorsprachezeiten für Fachstelle Soziale Wohnhilfe der einzelnen Bezirke aufgeführt, die Zahlen der Räumungen werden aufgeführt und das es auskömmliche Unterbringungsmöglichkeiten gäbe.

Quelle: Wie ist die Berliner Wohnungsnotfallhilfe für die Corona-Pandemie aufgestellt

ABER warum so viele Menschen diese Unterkünfte meiden wird nicht gefragt? Es wird nicht gefragt ob Obdachlosenunterkünfte allen Hygienischen und moralischen Anforderungen entsprechen oder eher wie offener Vollzug wirken?

Wir fragen uns an dieser Stelle ob es nicht gewollt ist, dass Menschen, die scheinbar durch das Leben auf der Straße ihre Würde als Menschen verwirkt haben, lieber sterben sollen? Ist das der politische Wille? 

Wenn der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kostenlose FFP2-Masken für „alle Risikogruppen“ verspricht, dies aber für Obdachlose nicht gilt zeigt das die Unterlassung von Hilfeleistung.

Wir fordern einen sofortigen Stopp von Zwangsräumungen, die Beschlagnahmung von Leerständen zur nachhaltigen Beseitigung der Obdachlosigkeit, die finanzielle Einbeziehung derer, die trotz der Pandemie Gewinne abschöpfen konnten sowie die bedingungslose Umsetzung des Artikel 28 der Berliner Landesverfassung, der jedem Menschen eine Wohnung verspricht! 

Wenn das nicht jetzt geschieht, sind alle Versprechungen und Versuche nur scheinheilige Methoden zur Gewinnmaximierung der  entstandenen Armutsindustrie!

Wir unterstützen die Forderungen des Bündnisses LeaveNoOneBehindnowhere, welches schon zu Beginn der Pandemie einen langen Forderungskatalog für obdachlose und wohnungslose Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte erstellt hat, um ihnen die bestmögliche Hilfe zu leisten.

 

 

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