Wohnen

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Wer nicht wohnt, gehört nicht wirklich zur Gesellschaft:
Ein Bürgerrecht auf Wohnen ins Grundgesetz

In unserer Verfassung muss ein Bürgerrecht auf Wohnen verankert werden. Wer nicht wohnt, ist von der aktiven Teilhabe an der Zivilgesellschaft ausgeschlossen. Wer nicht wohnt, verliert faktisch seinen Status als gleichgestellte Bürgerin oder gleichgestellter Bürger im Gemeinwesen. Auch wenn der Verlust der Wohnung formalrechtlich nicht mit einer Ausbürgerung einhergeht, so bedeutet es doch die faktische Ausbürgerung aus der Zivilgesellschaft und die faktische Ausbürgerung von der gleichberechtigten Teilhabe an der demokratischen verfassten Gesellschaft. Der Verlust des eigenen Wohnraums bedeutet nichts weniger als das Abgleiten aus gesellschaftlicher Akzeptanz ins soziale Abseits.

Nur wer wirklich Zugang zum Privileg der Teilhabe an der Mitwirkung an der demokratischen und republikanischen Idee, an diesem zentralen Selbstverständnis europäischer Aufklärung und Zivilisation, hat, nur wer wirklichen Zugang zur Beteiligung am Gemeinwesen hat, ist auch wirklich anerkannter Teil des Gemeinwesens. Demokratie ist nur dann eine Demokratie, wenn sich auch die „gewöhnlichsten“ Mitglieder der Zivilgesellschaft ohne Ansehen ihres sozialen Status, ihres Einkommens oder Vermögens so aktiv wie möglich in das demokratisch und republikanisch verfasste Gemeinwesen einbringen können, und Zugang und Teilhabe an Institutionen und politischen Entscheidungen nicht nur kleinen exklusiven Gruppen vorbehalten bleiben. Die Garantie der Wohnung für jeden Einzelnen ist hierfür zwar nicht die einzige, aber eine
ganz zentrale Voraussetzung.

Ein Bürgerrecht auf Wohnen darf sich deshalb aber auch nicht an der Frage festmachen, ob die oder der Einzelne zur Miete wohnt, oder ob das Wohnen auf einer anderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Grundlage wie beispielsweise im selbst genutzten Eigentum erfolgt. Der Schutz des Wohnens muss ohne Ansehen der Person und ohne Ansehen der wirtschaftlichen Verhältnisse den höchstmöglichen Rechtsschutz genießen. Bei der individuellen Bezahlbarkeit der Wohnkosten darf ebenso keine Unterscheidung stattfinden, ob die oder der Einzelne zur Miete wohnt oder das individuelle Wohnen auf einer anderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Grundlage stattfindet. Auch Menschen, die aus welchen Gründen oder Biographien auch immer im selbstgenutzten „Eigentum“ wohnen, müssen – unter Wahrung von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit – in den Genuss eines rechtlichen Anspruchs kommen können, dass ihr Recht auf Wohnen nicht an den entstehende Kosten, um überhaupt Wohnen zu können, scheitert.

Die essentielle Bedeutung des Status, eigenständig zu wohnen ist offensichtlich – denn: Wer nicht wohnt – egal aus welchen Gründen – steht am unteren Ende (oder eigentlich sogar außerhalb) der sozialen Hierarchie. Es darf deshalb keinen Unterschied machen, aus welchem sozialen Status heraus oder auf welcher Rechtsgrundlage jemand wohnt, um bleiben zu können.

Eigenständiges Menschenrecht auf Nachbarschaft

Der Mensch ist keine Maschine, dem es genügt, regelmäßig mit ausreichend Nahrungsmitteln gefüllt zu werden und einen notwendigen Hygiene- und Gesundheitsstatus aufrecht zu erhalten. Der Mensch lebt vor allem auch von und in dem sozialen Geflecht, das ihn umgibt, er lebt von und mit anderen Menschen. Der Mensch ist Überlebens notwendiger Weise auf ein solches soziales Geflecht um ihn herum angewiesen. Deshalb genügt es nicht, sich bei der politischen Forderung eines Rechts auf Wohnen auf die technischen und finanziellen Bedingungen des Wohnens zu beschränken. Keinem Menschen ist geholfen, wenn er gegen seinen Willen aus seinem angestammten sozialen Umfeld entwurzelt und vertrieben wird, um unter „sozialverträglichen“ technischen und finanziellen Bedingungen an einen anderen Ort verpflanzt wohnen zu können.

Formal, technisch und etatistisch bewertet könnte der Sozialstaat seiner Verpflichtung aber Genüge geleistet haben, in dem er Betroffenen einfach nur Zugang zu solchem Wohnraum garantiert, bei dem die technischen und finanziellen Bedingungen des Wohnens die Anforderungen einer Sozialstaatsbürokratie erfüllen.

Dennoch wäre damit Verdrängung, Vertreibung und Entwurzelung von Menschen Tür und Tor geöffnet. Sogar der Sozialstaat selbst hätte eine Legitimation, um Menschen aktiv zu verdrängen, zu vertreiben und zu entwurzeln, denn im Rahmen der Umsetzung von Grundsätzen der Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit wäre es rechtsstaatskonform und sozialpolitisch plausibel, warum Betroffene, die die steigenden Kosten ihres bisherigen Wohnraums nicht mehr aufbringen können, womöglich den Verlust des Wohnraums in Kauf nehmen müssen, um die Hilfe des Sozialstaats in Anspruch nehmen zu können. Kommt zum Verlust der bisherigen Wohnung aber hinzu, dass Betroffene den Verlust ihres Wohnumfelds und damit ihres sozialen Bindungsgeflechts gegen ihren Willen erleiden müssen, so stellt dies einen relevanten Eingriff in die Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen dar.

Nur ein für Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt bindendes eigenständiges Recht der und des Einzelnen auf ihre angestammte Nachbarschaft, das den Verbleib im vertrauten Umfeld expressis verbis garantiert, behebt diese bestehende Lücke der real existierenden Grundrechtspraxis von Politik, Verwaltung und Rechtsprechung.

Deshalb postulieren wir neben einem Bürgerrecht auf Wohnen die Weiterentwicklung unseres Grundrechtskatalog um ein Menschenrecht auf Nachbarschaft, das Grundrecht auf den Verbleib in der angestammten Nachbarschaft.

Wir fordern unter anderem:

  • Verdrängungsparagraph 559 (BGB) ersatzlos streichen
  • Recht auf Wohnen ins Grundgesetz
  • Schaffung eines Wohngesetzbuches
  •  Staatliche Vorhaltepflicht von Gütern der Daseinsvorsorge in das Grundgesetz
  •  Öffentliche Betriebe raus aus der Rendite-Jagd (Privatisierung von Schulen verbieten)
  •  Schluss mit dem ökologischen Betrug der Energieeinsparverordnung (EnEV),der zu teuren Wohnungen ohne Gegenwert führt
  •  Schluss mit Filz und Korruption im Wohnungsbau,Baukosten senken
  • Entmieten Verbieten: Strafrecht gegen Spekulation und Verdrängung schärfen – Kündigungsschutz für Senioren_Innen
  •  Einführung eines staatlichen Immobilienregisters
  • Sofortiger Stopp der Entlassung der Sozialwohnungen aus der Sozialbindung