Wie Steuerprivilegien die Wohnungsnot vergrößern – Wer drei Wohnungen erbt, zahlt Steuern, wer 300 erbt, nicht
Mit Steuerausnahmen lenkt die deutsche Regierung Milliardeninvestition in den Immobiliensektor, die zu höheren Haus- und Wohnungspreisen führen. Damit bewirkt sie das Gegenteil ihrer Wahlversprechen, bezahlbaren Mietraum für Menschen schaffen.
Die bunte Nachkriegsfassade strahlt weit über die viel befahrene Hermannstraße in Berlin-Neukölln. Durch das Herbstgrau leuchtet im knalligen Hellblauund Sonnengelb. So ließ der inzwischen gestorbene Immobilienunternehmer Harry Gerlach einst seine Mietshäuser überall in Berlin streichen. „Ein bisschen bunter und freundlicher“ wollte er die Stadt machen, steht es auf der Webseite des Unternehmens. „Man sollte immer lächeln, wenn man nach Hause kommt“.
Gerlachs Mietern ist das Lächeln wohl mittlerweile vergangen. Als sie im April 2021 erfuhren, dass ihr Haus an den Immobilieninvestor Mähren AG verkauft werden sollte, „rutschte uns das Herz tief in die Hose“, erinnert sich einer der Bewohner in einem betroffenen Haus in der Weddinger Maxstraße. Wie auch die Bewohner in der Hermannstraße fürchtet er drastische Mieterhöhungen. Dort, so berichtet ein Mieter, setzte der neue Eigentümer gleich mal die Betriebskosten um 300 Euro hoch.
Dem Verkäufer dagegen, Harry Gerlachs Sohn, bietet der Staat für das Geschäft sogar ein Steuergeschenk – er kann die Erbschaftssteuer sparen. Denn wer in Deutschland mehr als 300 Wohnungen als Teil eines Immobilienunternehmens erbt und diese fünf Jahre lang hält, muss das Erbe nicht versteuern. Ob er Erbschaftsteuer zahlte oder nicht, diese Frage lässt Hannes Gerlach unbeantwortet. Aber zu Beginn des Jahres 2021 lief für ihn die Fünfjahresfrist ab.
Rund 840 Kilometer südlich von Berlin-Neukölln am Mailänder Stadtrand sitzen Gianfranco Cerlienco und seine Ehefrau Nunzia in der Küche ihrer kleinen Wohnung.
Von Berlin bis Budapest und von Madrid bis Mailand sorgen sich Mieterinnen und Mieter um ihre Wohnungen, deren Besitzer immer schneller wechseln, und deren Preise rasant steigen. Bisher wird die Wohnungskrise häufig als eine Geschichte der Immobilienkonzerne beschrieben, die Mieten erhöhen und jenen kündigen, die diese nicht mehr zahlen können. Doch was sind die Gründe dafür, dass Investoren im vergangenen Jahrzehnt massiv in den Immobiliensektor vorgedrungen sind?
Dem ist das Journalistenteam Investigate Europe europaweit nachgegangen. Es waren nicht nur die billigen Kreditzinsen für die Investoren und die hohe Nachfrage, die in allen Metropolen die Wohnungspreise und Mieten stetig teurer werden ließen. Zugleich heizt die Mehrzahl der europäischen Regierungen den Boom mit Steuerprivilegien für Immobilienfonds und Vermieter systematisch an.
Da können die Anleger wie in Portugal und Italien Grundstücke und Häuser steuerfrei erwerben und die Verkaufsgewinne steuerfrei vereinnahmen. Da werden Mieteinnahmen gar nicht oder wie in Spanien und Frankreich nur mit einem Mini-Steuersatz belegt. Und fast überall dulden es die staatlichen Finanzbehörden, dass Investoren ihre Immobilien über steuergünstige Holdings in Luxemburg oder Steuerfluchtzentren wie Jersey managen.
Wie Investoren die Grunderwerbsteuer umgehen
Wenige Monate vor den Koalitionsverhandlungen verabschiedete die Große Koalition einen vermeintlichen Durchbruch bei einer weiteren Steuerausnahme, den Share-Deals. Mit diesem Trick hebelten große Investoren die Grunderwerbssteuer aus. Je nach Bundesland beträgt diese 3,5 bis 6,5 Prozent. Geld, das sparen kann, wer statt eines Grundstücks nur maximal 94,9 Prozent der Anteile an einer Gesellschaft kaufte, der das Grundstück gehört, und den Rest bei einer Strohfirma in einer Steueroase parkte. Schätzungen zufolge entgingen dem Staat so jährlich eine halbe Milliarde Euro.
„Steuerlücken treiben Preise in die Höhe“ …