KAMPF DEM KÄLTETOD »Die Bezirke sollten Leerstand beschlagnahmen«

Berlin: Bündnis gegen Obdachlosigkeit lädt zu mehrtägiger Wintermahnwache vor dem Roten Rathaus. Ein Gespräch mit Nicole Lindner

Das Bündnis »Gemeinsam gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen« hatte von Anfang der Woche bis zu diesem Mittwoch zur fünften Wintermahnwache in Berlin eingeladen – mit welchem Ziel?

Wir halten die Mahnwache vor dem Roten Rathaus ab. Dort können sich wohnungslose Menschen, mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte, über unser offenes Mikrofon öffentlich über ihre Sorgen und Nöte äußern. Bestenfalls kommt ihre Kritik auch direkt bei den Politikerinnen und Politikern an. Uns geht es darum, dass diese nicht stellvertretend von Beratern, sondern von den Betroffenen selbst erfahren, was deren Bedarf ist. Sie müssen erkennen, wie dringlich ihr Anliegen ist.

Wir protestieren dagegen, dass rund 50.000 Menschen in Berlin in entrechtenden, zwangsgemeinschaftlichen Massen- und Notunterunterkünften untergebracht sind. Die meisten von ihnen werden frühmorgens wieder auf die Straße geschickt, müssen sich also auch in diesem Winter trotz der Kälte draußen aufhalten. Die Bezirke sollten Leerstand beschlagnahmen, um zu verhindern, dass Menschen auf der Straße sterben.

Wie viele Menschen ohne Obdach sind in diesem Winter bereits an der Kälte gestorben?

Unserer Kenntnis nach haben bislang bundesweit mindestens schon sechs Menschen auf Grund der Kälte auf der Straße ihr Leben verloren. Von vielen erfährt man gar nichts, sie verschwinden einfach in der Anonymität. Kürzlich wurde ein toter obdachloser Mann in Berlin neben einem brennenden Zelt aufgefunden. Was die Umstände seines Todes sind, konnte noch nicht geklärt werden. Dabei könnte es sich auch um einen Überfall handeln.

Wie sollen es Obdachlose schaffen, an den Aktionstagen politisch aktiv zu sein? Sind sie doch damit beschäftigt, ihr Überleben zu organisieren.

In der Tat ist es nicht einfach, diese Menschen zu mobilisieren. Täglich aufs Neue gilt es zu organisieren: Wo kann ich nachts schlafen, wo gibt es Essen, wo ist eine Toilette zu finden? Rund 50 Menschen kommen zeitweise zum Protest zusammen. Die Wohnungslosen-Stiftung hat etwa 20 prekär Lebende aus der ganzen Republik eingeladen, darunter ehemals Obdachlose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, zum Beispiel aus Bayern oder NRW. Sie erhielten ein Zugticket nach Berlin. Weil wir die Mahnwache seit fünf Jahren machen, hat sich unser Protest auch in der Stadt durch Mundpropaganda herumgesprochen. Vielfach engagieren sich Menschen, die schon stabiler sind und sich für andere engagieren wollen. Vielleicht auch, weil sie selbst Hilfe in einer Zeit erfuhren, als es ihnen schlecht ging.

Hat sich in Berlin in den vergangenen Jahren etwas zum Positiven verändert?

Es gibt einige Unterkünfte mehr, die täglich rund um die Uhr öffnen. Obdachlosigkeit soll bis 2030 abgeschafft sein. Die Armutsindustrie zu stärken und mehr Geld für menschenunwürdige Unterkünfte auszugeben, reicht nicht. Die Menschen brauchen Wohnungen. Das »Housing first«-Projekt läuft, jedoch zu langsam, um alle Wohnungslosen mit einer Wohnung zu versorgen. Wenn zugleich mit Verweis auf das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz das Ordnungsamt oder die Polizei Obdachlose mit Platzverweisen aus der Innenstadt vertreiben und kriminalisieren, ist das inakzeptabel. Im Fall vom Alexanderplatz wird von einem »kriminalitätsbelasteten Ort« gesprochen. Aus unserer Sicht machen die profitorientierten Immobilienakteure, die mit Wohnungen spekulieren, ganz Berlin zu einem solchen Ort. Sie vertreiben die ansässige Bevölkerung, um Platz für Superreiche zu schaffen.

Sie hatten die Sozialsenatorin Katja Kipping von der Partei Die Linke und den Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel von der SPD zur Mahnwache eingeladen. Hat sich jemand aus dem Senat blicken lassen?

Bislang nicht. Nur sie können bei zuständigen Stellen in Auftrag geben, spekulativen Leerstand von Wohnungen aufzudecken, sie unter öffentliche Zwangsverwaltung zu stellen, und wieder verfügbar zu machen. Wir erwarten, dass Wohnungslosen der Zugang zur Wahlurne erleichtert wird, damit sie am 12. Februar mitbestimmen können, wer Berlin regiert. …

zitiert aus … Quelle … Junge Welt

Hier einige Bilder – Danke an @BildwerkRostock

Das könnte dich auch interessieren …