Zerstörung der Berliner DNA – Freiräume und Selbstorganisation vor dem AUS

»Es gibt Menschen, die wollen oder können sich nicht in den Wohnungslosenunterkünften unterbringen lassen. Die organisieren sich dann lieber selbst auf der Straße«, sagt Stefan Schneider von der Wohnungslosenstiftung am Dienstag auf einer Onlinekonferenz zu Obdachlosigkeit, Corona und informellen Siedlungen. Solche Selbstorganisierung auf der Straße findet in verschiedenen Formen statt. Während der Konferenz wird ein Interview mit einer ehemaligen Bewohnerin der Siedlung an der Rummelsburger Bucht eingespielt, die im Februar dieses Jahres geräumt wurde.

»Ich habe da mit meiner Gruppe gelebt, weil wir dort erst einmal sicher waren vor dem Ordnungsamt und der Polizei«, sagt Jess. Zuvor sei sie mit ihrem Wohnwagen fast täglich von den jeweiligen Schlafplätzen vertrieben worden und musste sich neue Orte suchen. »Wir waren wie eine Familie und haben füreinander gesorgt. Wenn Neue kamen, haben wir Schlafplätze und Essen organisiert«, sagt sie über das Leben an der Rummelsburger Bucht. Im Gegensatz dazu fühle sie sich vom Ordnungsamt oft wie ein vierjähriges Kind behandelt, das nicht für sich selbst sorgen kann. »Das stimmt einfach nicht. Klar freuen wir uns, wenn jemand warme Suppe vorbeibringt. Aber wir können uns auch gemeinschaftlich versorgen und organisieren«, sagt Jess. Schon wenige Wochen vor der Räumung der Rummelsburger Bucht ist Jess in einem Hostel untergekommen, weil sie durch die Corona-Pandemie keine andere öffentliche Infrastruktur nutzen konnte, um ihr Studium fortzuführen. Dann kam die Räumung der Bucht, bei dem ihr Wagen zerstört worden sei. Nun sei sie auf Wohnungssuche, sagt sie im Interview.

Informelle Siedlungen wie Zeltplätze, Hüttendörfer und Wagenplätze haben eine lange Geschichte in Berlin, sagt Niko Rollmann von der Bildungseinrichtung Robert-Tillmanns-Haus, die die Onlinekonferenz veranstaltet. Er nennt Barackia, eine sozialistisch und basisdemokratisch organisierte große Siedlung, die es in der Kaiserzeit zwischen dem Kottbusser Tor und der Hasenheide gab. »Das ist noch immer ein Leuchtturm für das rebellische Berlin und die Selbstbestimmung Obdachloser«, sagt Rollmann. Barackia ereilte schon damals das Schicksal des Camps an der Rummelsburger Bucht: Es wurde 1872 trotz Widerstand der Bewohner*innen polizeilich geräumt. …

zitiert aus … Quelle … Neues Deutschland

An dieser Stelle verweisen wir auf den Artikel: Nomaden in Berlin, Hauptstadtleben zwischen Fahrersitz und Auspuff in dem klar gezeigt wird, dass Alternative Lebensentwürfe seit Jahrzehnten zur Berliner DNA gehören. In der Rummelsburger Bucht war bis 2020 die utopische, schwimmende Wagenburg „Neu-Lummerland“ beheimatet. Hier lebten Kunstschaffende, Aussteiger:innen, Aktivist:innen und ehemalige Obdachlose gemeinsam. Friedlich, selbstbestimmt und frei von Mietenwahn, gesellschaftlichen Zwängen und Leistungsdruck. Auch die linke Bauwagen-Siedlung Köpi 137 in Mitte, die im Oktober zwangsgeräumt wurde, leistete jahrzehntelang Widerstand gegen Verdrängung, Gentrifizierung und Spekulation.

Hier auch noch einmal der Rückblick auf die Proteskundgebung am 10.02.2021 gegen die Zwangsräumung eines der größten Berliner alternativen Wohncamps.

Das Recht auf Wohnen gehört ins Grundgesetz! Wer schreibt vor wie gewohnt werden darf & warum? Sollte Wohnen in festen Behausungen eine Pflicht oder ein Recht sein? Wie ist das Wohnen entstanden, in welchen Formen wurde & wird gewohnt?

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