Neues aus Pankow: Denkmalschutzstreit, Geisterhaus, Pogromgedenken & Vorsätzliche Täuschung der Wahlhelfenden
+++ Anwohner sollen selbstgepflanzte Bäume fällen: Wie geht es weiter in der Denkmalschutz-Posse von Prenzlauer Berg? +++ Bezirksamt setzt Frist: Geisterhaus in Weißensee soll wieder bewohnt werden +++ Pogromgedenken in Prenzlauer Berg: Schilder mit jüdischen Nazi-Opfern an Gethsemanekirche abgerissen +++ Ehrenamtliche Wahlhelfer wurden „vorsätzlich getäuscht“: Eine Wahllokal-Leiterin macht Pankows Bezirkswahlamt in ihrer offizieller Stellungnahme zur Pannen-Wahl schwere Vorwürfe +++
Denkmalschutzstreit in Prenzlauer Berg: Anwohner pflanzen Bäume selbst – Amt droht mit 10.000 Euro Strafe.
Es ist der nächste skurrile Fall zivilen Ungehorsams im Bezirk Pankow: Anwohner der Unesco-Welterbesiedlung Carl Legien in Prenzlauer Berg haben eigenmächtig zwei Straßenbäume gepflanzt. Just dort, wo das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) vor acht Jahren ersatzlos roden ließ. Nun sollen die Anwohner die neuen Bäume bis Freitag aus Denkmalschutzgründen „entfernen“ – oder bis zu 10.000 Euro Strafe zahlen.
Der Fall erinnert an die Vorgänge in der Schonenschen Straße. Dort malten Bewohner selbst Gehwegvorstreckungen auf die Fahrbahn, um das Falschparken an Kreuzungen zu stoppen und den Durchgangsverkehr in ihrem Viertel einzubremsen. Das Bezirksamt hatte Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern trotz eines BVV-Beschlusses jahrelang nicht umgesetzt.
Alle Hintergründe der Baum-Posse können Sie mit einem Tagesspiegel-Plus-Abo hier lesen. Der Artikel hat auf tagesspiegel.de bereits große Resonanz gefunden.
Die Anwohner wollen nun „auf Deeskalation und Dialog“ setzen, wie ihre Initiative „Der Grüne Carl“ in einer Mitteilung erklärte. Man wolle „den Erhalt von Stadtgrün, die soziale Stadt und den Denkmalschutz in Ausgleich bringen“. Deshalb schlägt die Initiative eine „Zukunftswerkstatt Welterbe Carl Legien“ vor.
Geisterhaus in Weißensee soll wieder bewohnt werden. Ein prominentes Geisterhaus in Weißensee soll geisterfrei werden.
Das denkmalgeschützte Haus in der Woelckpromenade 7 steht seit vielen Jahren leer. Zuletzt wurde es häufig als Kulisse für Filmdreharbeiten genutzt – unter anderem für „Babylon Berlin“. Nun soll es wieder bewohnbar werden – das hat die SPD einer Kleinen Anfrage an das Bezirksamt herausgefunden. Die Eigentümerin, die das Haus Anfang 2020 übernahm, sei unter Fristsetzung und Androhung von Zwangsgeld vom Bezirksamt aufgefordert worden, die Wohnungen wieder Wohnzwecken zuzuführen.
Demnach sei am 3. November ein Bauantrag genehmigt worden, eine positive Stellungnahme der Unteren Denkmalschutzbehörde liege bereits seit August vor. Gemäß Bauantrag sollen alle Wohnungen saniert und dazu das Dach zu Wohnzwecken ausgebaut werden.
Wann genau die Frist zur Entgeisterung ausläuft, teilte das Bezirksamt auf Nachfrage zunächst nicht mit.
Pogromgedenken
Schilder mit jüdischen Nazi-Opfern an Gethsemanekirche abgerissen. Am vergangenen Wochenende haben Unbekannte an der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg 20 Schilder mit jüdischen Namen vom Zaun gerissen. Das teilte die Kirchengemeinde mit. Die Schilder waren anlässlich des Pogromgedenkens am 9. November befestigt worden. Darauf stehen die Namen von jüdischen Menschen, die bis zu ihrer Vertreibung oder Deportation im Umfeld der Kirche lebten. Auf jedem der Schilder steht der Zusatz: „Wir waren Nachbarn und wir sind Nachbarn.“
Die Schilder wurden nach Angaben der Kirche in der Nacht auf den 13. November abgerissen. „Wir sind erschüttert über diese Respektlosigkeit den Opfern gegenüber“, sagte Pfarrerin Aljona Hofmann von der Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord. Dass es sich um eine dezidiert antisemitische Tat handelt, wollte Frank Esch jedoch nicht bestätigen.
“Vorsätzlich getäuscht”: Wahlvorsteherin beschuldigt Bezirkswahlamt.
Berlins Wahlämter machen dicht. Sie verweigern die vollständige Einsicht in ihre Protokolle, Wahlniederschriften und sonstige Unterlagen, berichtet Lorenz Maroldt im Checkpoint: In offenbar koordinierten, gleichlautenden Schreiben werden entsprechende Anfragen abgelehnt. Darin heißt es, „eine pauschale Einsichtnahme in alle Niederschriften ohne Begründung“ sei unzulässig.
Deutlich offener zeigt sich Kerstin Herbst. Sie war als Wahlvorsteherin in Prenzlauer Berg tätig. Dort traten nach Ihrer Darstellung zwar keine Unregelmäßigkeiten auf – allerdings beschuldigt Herbst das Bezirkswahlamt, die ehrenamtlichen Wahlhelfer „vorsätzlich getäuscht“ beziehungsweise „schlichtweg verarscht“ zu haben. Und das nicht etwa anonym, sondern in Ihrer offiziellen Stellungnahme zum Ablauf der Wahl an das Amt.
Konkret bemängelt Herbst, dass das Wahlamt die Wahlhelfer nicht auf die falsche Beschriftung von Wahlzetteln aufmerksam gemacht hatte und auch insgesamt zu wenige Wahlzettel ausgegeben habe. Wir veröffentlichen das bemerkenswerte Statement hier ungekürzt im Original (ohne Groß- und Kleinschreibung):
„guten morgen,
gern nehme ich als wahlvorsteherin des wahllokals 614 im OSZ pappelallee zu den ereignissen am 26.09.2021 stellung.
bevor ich Ihre konkreten fragen beantworten, einige vorbemerkungen und fragen:
1. ich war wahnsinnig froh, ein so fittes und kompetentes team im wahllokal zu haben, so dass wir die wahlen und den volksentscheid ohne hausgemachte unregelmäßigkeiten durchführen konnten.
auch die zusammenarbeit mit den wahlvorständinnen und teams der ebenfalls im OSZ pappelallee untergebrachten wahllokalen 612 und 623 war sehr gut und kollegial, etwa bei der entflechtung der drei warteschlangen, der identifizierung falscher und der beschaffung fehlender stimmzettel und bei der schließung der warteschlangen um 18 uhr.
2. wer hat die „universitätsdruckerei“ potsdam mit dem druck der stimmzettel beauftragt? ein blick auf die website der druckerei offenbart, dass diese nichts mit der uni zu tun hat, sondern eine ganz normale werbe- und verpackungsdruckerei ist. der betrieb war mit dem auftrag offensichtlich überfordert.
3. warum hat das bezirkswahlamt (lt. aussage von herrn albrecht gegenüber rbb24) auf das angebot der universitätsdruckerei verzichtet, die unstimmigkeinen zwischen inhalt und beschriftung der für pankow bestimmten stimmzettel-kartons händisch zu korrigieren? schließlich waren die unstimmigkeiten seit august! bekannt.
4. warum hat das bezirkswahlamt pankow viele wahllokale (m.w. schwerpunktmäßig rund um dem helmholtzplatz) planvoll mit zu wenigen stimmzetteln versorgt? hierzu habe ich im nachgang zum wahltag keine überzeugende antwort gefunden.
5. warum ist in den wahlhelfer-schulungen (ich habe mitte september teilgenommen) weder das problem der den wahlkreisen falsch zugeordneten stimmzettel (erststimmen für AGH) noch der von vornherein zu wenigen unterlagen auch nur mit einem wort erwähnt worden?
das bezirkswahlamt hat die ehrenamtlichen wahlhelfenden vorsätzlich getäuscht oder, um es in akademischer sprache auszudrücken, schlichtweg verarscht.
zu Ihren konkreten fragen:
– fehlende Stimmzettel
in den drei wahllokalen im OSZ pappelallee gingen am nachmittag die blauen stimmzettel für die zweitstimme zur AGH-wahl aus. diese wurden uns von einer beisitzerin des wahllokals lychener str. per fahrrad gebracht. einem beisitzer des wahllokals 612 wurden im rathaus pankow falsche stimmzettel für die erststimme AGH (wahhlkreis 1 statt 6) ausgehändigt. dies wurde rechtzeitig bemerkt (und damit die abgabe ungültiger stimmen vermieden) und aus eigeninitiative korrigiert.
– vorzeitiges Beenden der Wahlhandlung / Pausieren der Wahlhandlung im Wahllokal
ich musste die wahlhandlung für die wählenden unterbrechen, die um 16.30 uhr noch keine wahlzettel ausgehändigt bekommen hatten, weil die blauen AGH-stimmzettel ausgegangen waren. glücklicherweise fiel die lieferung dieser stimmzettel mit dem ende der „regulären“ wartezeit (die wählenden hielten sich ungewöhnlich lande in den wahlkabinen auf) zusammen, so dass die wahlhandlung um 17 uhr fortgesetzt werden konnte.
alle drei wahlvorstände haben die warteschlangen gemäß bundeswahlgesetz um 18 uhr geschlossen. der letzte wähler verließ das wahllokal 614 um 18.50 uhr. damit war die wahl offiziell beendet.
– Ausgabe von Stimmzetteln an Nicht-Wahlberechtigte, insbesondere an Personen unter 18 Jahren
ich habe vor 8 uhr mein wahlteam ausdrücklich auf die wahlberechtigungs-spezialfälle – 16 – 18 und EU-BürgerInnen nur BBV, auslandsdeutsche nur bundestag – hingewiesen. dies wurde sowohl am eingang zum wahllokal als auch beim abstreichen der wählerliste penibel gepüft, so dass ich ausschließen kann, dass „Nicht-Wahlberechtigte“ unberechtigte stimmen abgegeben haben.
– lange Wartezeiten und eine Einschätzung, wie viele Personen aufgrund der Wartezeit ihr Wahlrecht nicht ausüben wollten
die wartezeiten waren lang. die drei wahlteams in der pappelallee haben die wartenden betreut: wir haben die wählerInnen-schlangen nach wahllokalen getrennt (auch i.s. des infektionsschutzes) sowie schwangere und menschen mit krücken, rollatoren und kleinstkindern an der jeweiligen schlange vorbeigeschleust. das verständnis der anderen wahlberechtigten war groß, wie auch die masken-disziplin im inneren des gebäudes.
nach meiner einschätzung hat nur eine geringe zahl von wahlberechtigten auf die wahl verzichtet.
für rückfragen stehe ich gern zur verfügung.
freundliche grüße, kerstin herbst“