Wohnen im Haifischbecken – siebenteilige Serie in der Tageszeitung junge Welt
Noch nie waren so viele davon bedroht, sich ihre Miete nicht mehr leisten zu können – auf der anderen Seite florieren die Geschäfte der größten Immobilienunternehmen auch zur Coronazeit.
Mieter- und Stadtteilinitativen allerorten machen deutlich, dass sich immer mehr Menschen leisten Widerstand – das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« und der in Berlin erlassene »Mietendeckel« sind erste Ergebnisse eines Kampfes gegen Dynamiken und Akteure des Wohnungsmarktes, der nicht mehr für die Mietenden, sondern nur noch für Investoren funktioniert.
Teil 1: Dividende statt Grundrecht. Geierfonds greifen nach dem Immobilienmarkt
Auszüge: Spätestens mit Helmut Kohl erreichte der Neoliberalismus die BRD. Durch den Anschluss der DDR, in der 1968 das Recht auf Wohnen sogar Verfassungsrang hatte, gewann die BRD quasi über Nacht Millionen von Wohnungen. Der Antrag in der gemeinsamen Verfassungskommission, Wohnen als Grundrecht in das Grundgesetz aufzunehmen, scheiterte. Die Neoliberalen hatten anderes im Sinn. Das Problem der kleinteiligen Besitzstrukturen bestand nicht mehr. Die Kohl-Regierung begann umgehend mit der Privatisierung der Ostimmobilien. Gleichzeitig wurden ehemals öffentliche Wohnungsgesellschaften in Westdeutschland privatisiert.
Auszüge: Es ist der heftigste Konjunktureinbruch in der Geschichte der BRD: Das Bruttoinlandsprodukt fiel im zweiten Quartal 2020 um 10,1 Prozent – doppelt so stark wie während der Finanzkrise 2008. Ganze Branchen stehen am Rande ihrer Existenz. Millionen von Lohnabhängigen sind von Kurzarbeit betroffen. Nur in der Wohnimmobilienbranche geht die Party weiter. Steigende Mieteinnahmen, wachsende Profite, und die Aktionäre freuen sich über erhöhte Dividenden.
Teil 3: The winner takes it all – Weltgrößter Finanzkonzern Blackrock verleibt sich Innenstädte ein
Auszüge: In der Öffentlichkeit kaum bekannt, handelt es sich bei Blackrock um nicht weniger als den mächtigsten Finanzkonzern der Welt. Über eine Vielzahl von Beteiligungen an börsennotierten Wohnungsunternehmen und Fonds ist der »schwarze Fels« auch Deutschlands größter Vermieter. Die Marktmacht von Blackrock ist beeindruckend. Die Schattenbank verwaltet 7,8 Billionen Dollar (6,4 Billionen Euro) und ist vor diesem Hintergrund der wichtigste Player auf dem globalen Finanzmarkt. Zum Vergleich: Der Staatshaushalt Deutschlands liegt bei lediglich 1,7 Billionen Dollar und der der USA immerhin bei 3,3 Billionen Dollar. Der operative Hauptsitz von Blackrock befindet sich in New York, aber der rechtliche Unternehmenssitz befindet sich in der US-Finanzoase Delaware.
Teil 4: Man kennt sich – Die kurzen Wege zwischen Politik und Immobilienbranche
Auszüge: Ein weiterer Aspekt des Netzwerkes zwischen Geierfonds und Politik besteht darin, dass mehrere wichtige ehemalige Politiker für die Finanzinvestoren direkt arbeiten oder gearbeitet haben. Von diesen Investoren sind wiederum viele im BVK organisiert, wodurch auch der Einfluss des BVK wächst. Einige Beispiele: der ehemalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) bei TPG Capital, die früheren Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und Rudolf Scharping (SPD), beide bei Cerberus. Es ist schon makaber, wenn erst die Geierfonds von Steuern befreit werden, und wenige Jahre später einige Politiker aus dieser Zeit bei genau jenen Schattenbanken arbeiten, denen man zuvor die Wohnungen zu Schleuderpreisen hinterhergeschmissen hatte. Neben sogenannten Spitzenpolitikern wechselten gleichfalls hochrangige Beamte in die Private-Equity-Branche, wie Florian Gerster, der ehemalige Leiter der Bundesanstalt für Arbeit (BA), der im Anschluss für Fortress tätig war. In seine Zeit bei Fortress fällt pikanterweise auch der Kauf von 80.000 Wohnungen von einer Tochter der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).
Auszüge: Im Buwog-Prozess ging es um den spektakulärsten Bestechungsskandal in der österreichischen Immobilienbranche seit der Gründung der zweiten Republik. In der vergangenen Woche wurden ehemalige Politiker und Manager zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die »Bauen und Wohnen GmbH«, kurz Buwog, wurde 1951 als Wohnungsbaugesellschaft der Republik Österreich gegründet. Ziel war es, günstigen Wohnraum für die Staatsbediensteten zu schaffen. Es war eine Erfolgsgeschichte. Schon nach wenigen Jahren verfügte sie über mehrere zehntausend Wohnungen.
Auszüge: Die Hegemonie der Immobilienlobby wird ernsthaft in Frage gestellt. Nicht nur durch Leitartikel und Sonntagsreden. Die »rot-rot-grüne« Landesregierung greift mit diesem Gesetz wirklich die Profitinteressen der Branche an. Das erkennt man vor allen Dingen an den Reaktionen: CDU, FDP und AfD sprechen vom »Sozialismus« und Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn warnt: »Der Berliner Mietendeckel bringt Chaos und sät Zwietracht.« Die Immobilienlobby übt im Hintergrund viel Druck aus, und wie immer, wenn eine Reform wirklich etwas verändert, gibt es Teile in der SPD, die nicht zögern, sich auf die Seite des Kapitals zu schlagen. Jüngstes Beispiel ist SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, die eine Verlängerung des Mietendeckels in fünf Jahren ausschließt (siehe jW vom 10. Dezember). Offensichtlich hat sie ein ähnliches Verhältnis zum Thema soziale Gerechtigkeit wie zur wissenschaftlichen Redlichkeit. ….
Zum Mietendeckel ein Kommentar des in Berlin bekannten Aktivisten Peter S.:
Natürlich ist die Freude von Michael Prütz über den Beschluss zum Mietendeckel verständlich und wird von wohl allen Mietern in Berlin, die unter der Verdoppelung der durchschnittlichen Kaltmiete in nur den letzten zehn Jahren leiden, geteilt.
Trotzdem hat er leider nicht recht mit seiner Behauptung, daß jetzt erstmals andersherum umverteilt wird. Nein, davon kann beim besten Willen keine Rede sein. Allenfalls handelt es sich um eine klitzekleine Verringerung der nach wie vor massiven Umverteilung von unten nach oben. Denn während noch vor zehn Jahren der Berliner Durchschnittsmieter in seiner Kaltmiete einen leistungslosen Aufschlag von allenfalls zehn Prozent auf die echten, umlagefähigen Selbstkosten der Wohnung zahlen musste (die sogen. »Überschussmiete«, das leistungslose »Eintrittsgeld des Vermieters«), sind es inzwischen weit über 100 Prozent geworden. DIESE 100 PROZENT haben die Durchschnittsmieten verdoppelt, nicht die um nur wenige Prozent gestiegenen Wohnkosten. Diese 100 Prozent Überschussmiete sind es, die als Riesenprofite der Immobilienkonzerne aus der Stadt hinaus in Steueroasen geschafft werden, die Spekulation anheizen, die Bodenpreise durch die Decke schießen lassen, die Gentrifizierung befeuern und mittellose Mieter im Winter auf die Straße zwangsräumen lassen, unter eilfertiger Beihilfe des Gesetzgebers und seiner Knechte auch im Berliner Senat.
Quelle: https://www.mietenwatch.de/wohnen-als-ware/#uberschussmiete
Die Mieter sind es, die durch diese 100 Prozent JEDEN MONAT mit ihrer Mietzahlung ein bisschen mehr enteignet werden! Denn sie erhalten dafür keine Gegenleistung, allenfalls Propagandakampagnen, dass es noch zu wenig wäre für so eine tolle Wohnlage, ohne jede Wohnwertverbesserung ihrer nur älter werdenden Wohnung.
Und man darf mir den Zweifel gestatten, daß Frau Giffey, wenn sie den Mietendeckel abgeschafft bekommen sollte, stattdessen an diese 100 Prozent Überschussmiete rangehen will. Womöglich wird sie, um die scheuen Investorenrehe (wie sie die Berliner Miethaie durch ihre rosa Brille wohl gern sieht) wieder anzulocken, die Mieter eher noch ein bisschen drauflegen lassen.
Aber das soll ja erst in fünf Jahren passieren. Oder? Mieter, hört die Signale! Vergesellschaften!

@Hartmut Bräunlich
Teil 7: Aus Wut wird Widerstand – Von Regulierung bis Enteignung. Alternativen zum Mietenwahnsinn
Auszüge: …Eine Möglichkeit würde darin bestehen, die Wohnpolitik Konrad Adenauers zu wiederholen. Als das Mietrecht in der Nachkriegszeit beschlossen wurde, bedeutete dies das faktische Verbot von Mietkündigungen. Außerdem wurde das Mietniveau staatlich festgelegt und es gab anfangs auch noch die staatliche Zwangsvergabe von privatem Wohnraum an Wohnungssuchende. Auch der soziale Wohnungsbau wurde stark gefördert. … Der Gemeindebau des »Roten Wiens« wurde nach dem Ersten Weltkrieg von der österreichischen Sozialdemokratie auf den Weg gebracht. Finanziert wurde der Wohnungsbau aus zwei Steuern: Einer Abgabe auf Luxusgüter und der sogenannten Wohnbausteuer. Für den Neubau wurde also die Bourgeoisie zur Kasse gebeten. …. Die spannendste Alternative geht vom Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen aus. Ziel der Initiative ist es, dass alle Konzerne, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden. Dazu sollen die rekommunalisierten Wohnungen in eine Gesellschaft öffentlichen Rechts übertragen werden, die von Bewohnern in einer Rätestruktur verwaltet wird. Die Mieten sollen sich am Fair-Mietenmodell orientieren, wonach die Bruttowarmmiete 30 Prozent des Einkommens nicht übersteigen darf. …