Dieser Artikel ist ein Erlebnisbericht, keine vollständige Dokumentation. Liegt daran, dass wir uns gestern nachmittag spontan entschlossen hatten, das Wochenende, das mit dem Besuch des Hoffestes der Elsenstraße 74 so schön begonnen hatte, mit einem hoffentlich tollen Event ausklingen zu lassen. Liegt auch daran, wie die Veranstaltung aufgezogen war.
Die Gala „Kein Haus weniger“ für die bedrängten linken Projekte von Berlin war mehr als toll, sie war galaktisch oder gigantisch, wie wir in einem Tweet geschrieben haben. Der Festsaal von Kreuzberg bzw. die zwei Festsäle, die verwendet wurden, waren mehr als gut besucht. Es war rappelvoll, vorsichtig ausgedrückt. Und die Musik- und Redebeiträge waren fantastisch. Wir mussten ein bisschen aufpassen, dass wir daraus keine vorschnellen Rückschlüsse ziehen, wie zum Beispiel: Eine linke Kunstszene, die so viel Kraft hat, wird niemals sterben!
Das stimmt so nicht. Projekte sind in ihrer Existenz bedroht, wenn man ihnen ihre Räume wegnimmt, sie entwurzelt, aus einem kreativen Umfeld reißt (und sich dann praktischerweise auch jede Förderung sparen kann, falls es sie gab). Sie sind gefährdet, wenn man es zulässt, dass die Spekulation, die Berlin seit vielen Jahren heimsucht, jene Orte der maximalen kommerziellen Verwertung zuführt, an denen bisher Kunst für alle stattfand, die Häuser und alternative Wohnprojekte, Werkstätten, die Freiräume und auch Schutzräume sind. Räume, in denen eine bessere Gesellschaft noch laut gedacht, gesungen, getanzt werden darf.
Rund 591 per Klick gezählte Gäste zahlten am Abend eine Spende am Eingang, ungezählte kamen ohne Obolus hinein. Rund 150 Veranstalter*innen und Helfer hatten seit dem Nachmittag alles vorbereitet. Im Nebensaal mit Stante-Pede-Bühne wurden Speisen von den beteiligten Gruppen feilgeboten. Schautafeln zeigten die einzelnen Geschichten der Hausprojekte, hat die taz heute geschrieben. An anderer Stelle steht zu lesen, dass diese Gala der verdiente Höhepunkt von 15 Jahren Aktivität ist. Das müssen wir erst einmal sacken lassen. Diese Historie! Sie reicht natürlich viel weiter zurück, aber das gestrige Event wird sich wohl nicht so bald wiederholen lassen. Interessanterweise haben wir erst wenige Tage zuvor in den sozialen Medien davon erfahren. Das „nd“ äußert sich in seinem Bericht kritisch zur Abwesenheit vieler prominenter Unterstützer*innen von „Kein Haus weniger“, hebt aber auch die Funktion der Gala als Kennenlern-Event hervor, von dem aus das junge Bündnis seine politische Arbeit starten will: „Frühere und aktuelle Besetzer*innen vereinigen sich, um den Ausverkauf von Berlin zu stoppen.“
Wir hoffen auf ein baldiges Ende des unnatürlichen Immobilienhypes, das würde den Menschen von „Kein Haus weniger“ sicher bei ihrem Kampf helfen.
Ein ganz großer Raum für alle bedrohten Projekte war am gestrigen Sonntagabend der Festsaal Kreuzberg.
Nie zuvor haben wir so viele Kollektive mit ihren Ständen und Statements, so viele Künstler*innen der alternativen Berliner Kultur versammelt gesehen. Sicher liegt’s auch daran, dass wir kein Szenemagazin sind, wir wollen auch gar nicht erst versuchen, in diesem Artikel den Anschein zu erwecken. Wir sind nach Jahren des nur Beruflich-Privaten erst Ende 2016 wieder politisch aktiv geworden und befassen uns mit dem Mietenwahnsinn verstärkt seit September 2018. Was wir in der Zeit erlebt haben und die Häuserkämpfe, über die wir geschrieben haben, das bewegt uns jeden Tag und wir leiden mit den betroffenen Menschen mit, wenn sie ihre Kämpfe verlieren. Das hat uns in unserer antikapitalistischen, antifaschistischen und antirassistischen Haltung gestärkt.
Die Prämisse, vollständig sein zu wollen, mussten wir gestern schon beim Eintreten aufgeben, spätestens, als wir gesehen haben, wie die Gala konzipiert war. Wir wussten vorher nicht, dass zwei Bühnen bespielt werden, dass es trotzdem keine „Playlist“ bzw. Angabe darüber geben würde, wer wann wo gerade performt oder ein Statement abzugeben gedenkt. Dadurch haben wir z. B. die Ansprache des Neuköllner Syndikats und einiger anderer Kollektive und Initiativen verpasst. Keine Bilder, kein Platz im Video (das Video kommt, so das Zeitbudget es erlaubt, am nächsten Wochenende). Also haben wir den Artikel als Streifzug angelegt. Mögliche Updates, wie immer bei uns, inbegriffen, wenn wir weitere Informationen erhalten.
Das ist keine Kritik am Veranstaltungsprinzip, wir finden es richtig und demokratisch, dass sehr viele Projekte sich darstellen konnten und man sich nicht auf wenige „Auserwählte“ konzentriert hat.
zu Ehren aller bedrohten alternativen Projekthäuser, Initiativen, Freiräume, Platten und Clubs erwartet euch ein vielfältiges Programm von Musik, Redebeträgen, Performances, Theater, Küfas, Kunst, Tanz und vielem mehr u.A mit „12voltBand / news from nowhere“, „Bastelscherenballet“, „Die Tsootsies“, „Du hast keine Chance, aber nutze sie“, „elove“, Freakshow Performance, „Gentrifizierung“, „Goldzilla“, „paradise princess“, „Pastor Leumund“, „Rattenchor“, „Roim und Stroifahrzoige“, „SHE Choir“, „Taxi Nach Tegel“, „Tex Brasket“.
Kein Haus weniger! – Wir sagen: Jetzt ist Schluss! Kein Projekt, kein Haus weniger!
Während Berlin sich als queere Hauptstadt inszeniert, wird ein queerfeministisches Hausprojekt rausgeschmissen. Schluss damit!
Liebig34 bleibt!
Während Berlin dringenden Bedarf an Angeboten für Jugendliche und Sozialeinrichtungen hat, sieht man zu, wie die zwei ältesten selbstverwalteten Jugend- und Sozialzentren verdrängt werden. Schluss damit!
Potse bleibt! Gebt dem Drugstore seine Räume zurück!
Während bezahlbarer Wohn- und Gewerberaum immer knapper wird, stehen mit der Lause und der Køpi wichtige alternative Wohn- und Projektorte unmittelbar vor einem erneuten Verkauf und damit einer ungewissen Zukunft.
Køpi bleibt! Lause bleibt!
Viele unserer eigenen Geschichten zeigen, dass aus Besetzungen u.a. Projekte solidarischen Zusammenlebens, Netzwerke für soziales Engagement in den Nachbarschaften und unkommerzielle Räume für Initiativen und Vereine entstehen. Dennoch wird die Aneignung und Nutzung von Leerstand zwanghaft binnen 24 Stunden mit Polizeigewalt geräumt. In Städten wie Zürich müssen Eigentümer*innen von Leerstand nachweisen, dass sie aktuell konkrete Vorhaben mit den Gebäuden umsetzen, andernfalls müssen sie Besetzungen dulden.
Gebt der G17a ihre Wohnung zurück! Alle von Rausschmiss bedrohten Hausgemeinschaften bleiben!
Wenn neue gastronomische Einrichtungen öffnen, ist das Angebot oft touristisch ausgelegt und für viele Berliner*innen schlicht längst nicht mehr erschwinglich. Langjährige Kneipen, die häufig kollektiv betrieben werden und vom Ausschank abgesehen oft auch Raum für nachbarschaftliche Vernetzung, Sozialberatung und politische Veranstaltungen bieten, werden hingegen rausgeschmissen. Schluss damit!
Syndikat und Meuterei bleiben! Gebt der Friedel54 ihren Laden zurück! Sicherheit fürs K-Fetisch!
Während alternative Lebensweisen mit Wagenplätzen selbstbestimmte Orte zum Wohnen und Arbeiten finden, sind diese immer stärker von Verdrängung bedroht. Schluss damit!
SabotGarden und alle Wagenplätze bleiben! Ein Areal für die DieselA!
Alternative Projekte sind ein zentraler Bestandteil für eine vielfältige und lebendige Stadt. Wir waren schon hier als die Kieze und Stadtteile noch nicht aufgehübscht und vermarktet wurden. Wir waren vielerorts da, wo die Benachteiligten und Unterprivilegierten ihrem Schicksal überlassen wurden. Und wir werden jetzt nicht weichen, wo die Profitinteressen von Konzernen uns zu verdrängen versuchen.
Wer in Zeiten grassierender Mieten und niedriger Löhne untätig bleibt oder glaubt, sich angesichts eines zeitlich befristeten Mietendeckels nun zurücklehnen zu können, wenn soziale Institutionen oder Einzelpersonen ihr Zuhause verlieren, macht sich mitschuldig!
Deshalb:
– Bestandsschutz für alle sozialen und kulturellen Projekte
– wirksamen Schutz vor Verdrängung für Kleingewerbe
– Sofortige Aussetzung aller Zwangsräumungen
– Weg mit der „Berliner Linie“
– Straffreiheit für alle Besetzer*innen
Wir kämpfen gemeinsam! Wir bleiben alle!“
Der Weg durch den Abend
1. Orientierung
Wir hatten uns nicht verabredet, Spontanentschluss, siehe oben. Also wanderten wir erst einmal in Ruhe die Stände ab, schauten uns in den beiden Sälen um – und kommen damit zur ersten Bilderstaffel (einige Bilder enthalten Beschreibungen):
Alle wollen rein in den Kreuzberger Festsaal – wir auch.
Das Motto für die nächsten Jahrzehnte.
Eine Erfolgsgeschichte. Das ehemals besetzte, jetzt unter dem Dach der Degewo selbstverwaltete …
Haus Mansteinstraße 10/10a in unserem Bezirk Schöneberg. In den 1980ern, als Räume sich öffneten …
Die Technik wird eingerichtet und heute muss es eine Villa sein, im Grundewald oder so …
… und wo ein Syndikat, da Widerstand! Man vergisst es so leicht: Die Neuköllner Kiezkneipe besetzt ihre Räume seit fast einem Jahr!
Was wäre der Wahlberliner beispieslweise ohne dies?
Wir konnten es leider nicht komplett entziffern, aber es hat mit dem Rechtsterror des NSU zu tun.
Mittlerweile haben sich die Räume gefüllt.
Hingehen.
Hier nochmal der Aufruf, den wir oben abgebildet haben, in Form eines Plakats. Damit es lesbar ist, haben im originalen 4K-Format belassen.
2. Hallo, Einstieg, erste Highlights
Den heutigen ersten Teil beschließen wir mit dem Einstieg ins Programm und mit einem Nachdenkmoment: Noch vor wenigen Monaten hätten wir diesen Abend alleine zugebracht, weil wir kaum jemanden aus der Mieter*innen-Bewegung kannten, nachdem wir lange gebraucht hatten, um das „vor Ort sein“ ins Laufen zu bringen, aber gestern fanden wir gleich Anschluss an Nicole, Steffen und andere von der Mieterpartei. Ina von der Frankfurter 187 war auch da, wir werden sie in Teil 2 oder 3 im Bild sehen. Wir saßen im Halbrund im Hauptsaal, in dem die mehr Bühnentechnik erfordernden Auftritte stattfanden – inklusive Moderation der Drag-Queens und Travestiekünstlerinnen Jacky-Oh Weinhaus und Jurassica Parka. Zu Filmen und Fotografieren verließen wir unseren bequemen Kunstlederbankplatz und schoben uns etwas weiter nach vorne.
Schwerpunkt der zweiten Bilderserie sind die Tsootsies mit ihrem energiegeladenen Auftritt, von denen wir unverzeihlicherweise im gestrigen Tweet ein Foto gepostet haben, auf dem Frontfrau Laura verdeckt ist – auch zwei junge Menschen von Potse und Drugstore sehen wir, die den Stand der Dinge erläutern: Potse-Räumungsprozess Teil 2, jetzt festgesetzt auf Juni 2020, sagte Paul vom Potse-Kollektiv, das Drugstore hat schon einen Mietvertrag für Ersatzräume, die aber immer noch nicht beziehbar sind. Über die beiden selbstverwalteten Jugendzentren und ihren vieljährigen, verzweifelten Existenzkampf haben wir mehrfach berichtet.
Die Anmoderatorinnen!
Ein Beitrag von der Berliner Obdachlosenhilfe.
Eine der Verdrängungsgeschichten in Berlin, die uns am meisten triggert: Potse in Besetzung und Drugstore im Exil aus Schöneberg.
Das Bündnis Mietenwahnsinn zeigt nun auch Transpi.
Zwischenmoderation.
Der Rattenchor: „Wir wollen nicht als Kulisse für den Ausverkauf der Stadt missbraucht werden.“
Die Tsooties.
Der Name der Band leitet sich aus „Zugezogene“ ab …
… da haben wir uns natürlich angesprochen gefühlt.
Gilt das noch, dass in Berln mehr Zugezogene wohnen als hier Geborene? Viele Zuzis haben doch mittlerweile echte Berliner*innen gezeugt.
…
… unter anderem mit dem „radikal-existenzialistischen“ Hit „Urschleim“.
…
Morgen folgt, wenn das Zeitbudget unseren Berechnungen folgt, der zweite Teil!