Placebos gegen Wohnungsnot
Weder „Mietpreisbremse“ noch „Neubauoffensive“ verhindern Verdrängung und explodierende Mieten
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum nimmt für weite Bevölkerungsteile zunehmend dramatische Formen an. In vielen Groß- und Universitätsstädten und Ballungsräumen ist es für Gering- und Normalverdiener kaum noch möglich, eine adäquate Wohnung zu einem erschwinglichen Preis zu finden. Im Gegenteil: Durch stetige Mieterhöhungen, aber besonders durch kostentreibende Modernisierungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen werden viele Menschen aus ihren angestammten Wohnungen regelrecht verdrängt.
Das System des sozialen Wohnungsbaus, das durch Belegungsbindung und subventionierte Mieten Menschen mit geringem
Einkommen eine angemessene Wohnung sichern sollte, galt mit dem Siegeszug des neoliberalen Mainstreams in den 1990er Jahren als Auslaufmodell. Die Neubautätigkeit in diesem Segment wurde weitgehend eingestellt. Und da dieses System nicht auf der Schaffung von dauerhaft günstigem Wohnraum, sondern auf temporären Preis- und Belegungsbindungen (in der Regel zwanzig bis dreißig Jahre) basiert, ist die Zahl der Sozialwohnungen seit 1990 dramatisch zurückgegangen: von rund 3 auf 1,5 Millionen im vergangenen Jahr. Dieser Altbestand wird auch künftig um 40 000 bis 50 000 Wohnungen pro Jahr sinken. Hinzu kam eine riesige Privatisierungswelle von Wohnbeständen aus Bundes-, Landes- und Kommunalbesitz; sie wurden an private Investoren veräußert. Bekannte Beispiele sind der Verkauf von 114 000 Eisenbahnerwohnungen an ein deutsch-japanisches Finanzkonsortium im Jahr 2000 sowie der Verkauf der landeseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaft GSW mit 66 000 Wohnungen an die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall (Goldman Sachs) im Jahr 2004. Für letztere Transaktion sowie weitere Verkäufe kommunaler Wohnungsbestände zeichnete ausgerechnet ein „rot-roter“ Senat in Berlin verantwortlich, was von der PDS (heute Die LINKE), die seinerzeit unter anderem den Wirtschaftssenator stellte, mit der Schuldenlast Berlins und der entsprechend „angespannten Haushaltslage“ gerechtfertigt wurde und teilweise immer noch wird. Auch in Dresden stimmte die Mehrheit der PDS-Stadtratsfraktion im Jahr 2006 dem Komplettverkauf des städtischen Wohnungsbestandes an die US-amerikanische „Heuschrecke“ Fortress zu.Die marktorientierte Liegenschaftspolitik, also die Vergabe von landes- und bundeseigenen Baugrundstücken an Investoren nach dem Höchstpreisprinzip, führte außerdem dazu, dass fast nur noch profitorientierte Immobilienunternehmen beim Neubau zum Zuge kamen. Ohnehin war die Wohnungsgemeinnützigkeit als Instrument zur Schaffung von dauerhaft preiswertem Wohnraum bereits im Jahr 1990 vom Bundestag abgeschafft worden.
Stetiger Abbau von Mieterrechten
Zusätzlich wurde der Druck auf Mieter durch zahlreiche Reformen des Mietrechts und eine darauf basierende Rechtsprechung verschärft. Die Möglichkeiten zur Kündigung von Mietverträgen wegen Eigenbedarfs und „mangelnder wirtschaftlicher Verwertbarkeit“ wurden beträchtlich ausgeweitert. Vor allem das im Frühjahr 2013 in Kraft getretene Mietrechtsänderungsgesetz für energetische Modernisierungen eröffnete Hauseigentümern völlig neue Möglichkeiten. Durch – oftmals nur vermeintliche – Maßnahmen der Gebäudesanierung zur Energieeinsparung können exorbitante Mietsteigerungen verlangt werden, ohne dass sich Mieter dagegen wehren können. So wurde für diese Modernisierungsart die „Härtefallklausel“, die Preiserhöhungen in einigen Fällen kappt, wenn sie für den Mieter unzumutbar sind, außer Kraft gesetzt. Besonders in begehrten Innenstadtlagen löste diese neue Gesetzeslage eine regelrechte Verdrängungswelle aus. Mieterhöhungen um 100 und mehr Prozent blieben keine Einzelfälle. Die Möglichkeit, Altmieter loszuwerden, erwies sich als äußerst lukrativ, da die Bestandsmieten (ohne Modernisierungsumlagen) zwar in den meisten Städten an den örtlichen Mietspiegel gekoppelt sind, es für Neuverträge aber so gut wie keine Restriktionen in Bezug auf die Höhe der Kaltmiete gab. Hinzu kommt, dass die neuen Mieten anschließend in die Berechnung des künftigen Mietspiegels einfließen, was diesen regelmäßig beträchtlich in die Höhe treibt. Des Weiteren wurden Kündigungen und Räumungen bei Zahlungsverzug erleichtert.
Tickende soziale Zeitbombe
Allmählich erkannten die herrschenden Parteien, dass in der Wohnungspolitik eine soziale Zeitbombe tickt. Die CDU musste registrieren, dass das starre Festhalten an marktliberalen Dogmen besonders in Großstädten und Ballungsräumen zu erheblichen Akzeptanzverlusten bei den Wählern führt. Und so nahm die Mieten- und Wohnungspolitik im Bundestagswahlkampf 2013 einen relativ großen Stellenwert ein. Sogar die CDU versprach nun eine „Neubauoffensive“, eine Wiederankurbelung der sozialen Wohnraumförderung und in der Endphase des Wahlkampfes gar eine „Mietpreisbremse“. Für Mieterhöhungen bei Neuvermietungen sollte eine Kappungsgrenze eingeführt werden, was im Wirtschaftsflügel der Partei und besonders bei den Immobilienverbänden Entsetzen und Empörung auslöste.
Das spiegelte sich auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU und CSU nach der Wahl wider. Dort heißt es zum Thema Mieten und Wohnen unter anderem:
„Dem weiter wachsenden Wohnungsbedarf in den Ballungszentren und vielen Groß- und Hochschulstädten, dem notwendigen energetischen Umbau sowie den demografischen und sozialen Herausforderungen muss entsprochen werden. Dazu setzen wir auf einen wohnungspolitischen Dreiklang aus einer Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung. (…) Damit Wohnraum insbesondere in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt, räumen wir den Ländern für die Dauer von fünf Jahren die Möglichkeit ein, in Gebieten mit nachgewiesenen angespannten
Wohnungsmärkten bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken. (…) Künftig sollen (pro Jahr, d. Verf.) nur noch höchstens 10 Prozent längstens bis zur Amortisation der Modernisierungskosten einer Modernisierung auf die Miete umgelegt werden dürfen. Durch eine Anpassung der Härtefallklausel im Mietrecht (§ 559 Abs. 4 BGB) werden wir einen wirksamen Schutz der Mieter vor finanzieller Überforderung bei Sanierungen gewährleisten.“
Wirkungslose Mietpreisbremse
Doch die Sorgenfalten in den Chefetagen der Immobilienbranche glätteten sich bald wieder. Die vollmundig angekündigte „Mietpreisbremse“ für Neuvermietungen wurde zu einem lächerlichen Konstrukt, das bis zum heutigen Tag keinerlei Wirkung zeigt. Mieten, die im Vergleich zum Mietspiegel bereits deutlich überhöht waren, wurden von der Kappungsgrenze (10 Prozent oberhalb des Mietspiegelwertes) ebenso ausgenommen wie Neuvermietungen nach „umfangreichen Modernisierungen“. Dieser Terminus erwies sich in der Rechtsprechung zudem als äußerst dehnbar. Neubauten sind von den Preisrestriktionen ohnehin generell nicht betroffen. ….