„Wir fühlten uns wie die Größten“ – Kronzeuge im Cum-Ex-Prozess rechnet mit einer ganzen Branche ab
Im ersten Cum-Ex-Prozess Deutschlands erzählt der Hauptzeuge an Tag drei von Gier und Größenwahn – und von Lobbyismus in seiner schmutzigsten Form.
Der Zeuge hat viel gebeichtet in dieser 44. Kalenderwoche 2019. Er gab seine Teilnahme am wohl größten Steuerbetrug der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu. Er beschrieb den Richtern am Landgericht Bonn, wie die blanke Gier alle Grundsätze übertrumpfte, die er als Jurist je verinnerlicht hatte. Es dauerte allerdings bis zum dritten Verhandlungstag, bis dem Kronzeugen die Schilderung seiner eigenen Schuld die eigene Fassung raubte.
„Für das, was ich dieser Person angetan habe, möchte ich mich entschuldigen“, sagt er. Vieles, was er in den vielen Stunden seiner Aussage vorgetragen hat, wirkte einstudiert. Nun stockt ihm die Stimme. Die Person, von der er spricht, heißt J. S. Sie war Sachbearbeiterin im Bundeszentralamt für Steuern, als ein Geschäft von dem Zeugen auf ihren Tisch geriet – und sie in sein Visier. Er und seine Kollegen erklärten J. S. zur Zielscheibe.
Recherche der Zeitung Handelsblatt (Quelle: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/steuerskandal-wir-fuehlten-uns-wie-die-groessten-kronzeuge-im-cum-ex-prozess-rechnet-mit-einer-ganzen-branche-ab/25179736.html)
Die Sachbearbeiterin hatte Steuererstattungen in dreistelliger Millionenhöhe gestoppt. Sie schob damit einen Keil in die Maschine, mit der der Zeuge für sich und seine Geschäftspartner Unsummen verdiente. Die Maschine hieß Cum-Ex. Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch wurden dabei so gehandelt, dass die Beteiligten sich das Mehrfache dessen von den Finanzämtern „erstatten“ ließen, das sie abführten. Eine ganze Dekade lang kamen schwerreiche Investoren, ihre Steuerberater, Rechtsgutachter und Banken damit durch. Dann stellte sich J. S. quer.
„Wir haben ihr gedroht“, sagt der Zeuge. Es sind Worte, deren Tragweite die Richter nach drei Tagen seiner Aussage gut einschätzen können. Er war 2011 Partner einer der einflussreichsten Kanzleien Deutschlands. Ihre Kundenliste umfasste viele der vermögendsten Deutschen, sie hielt Verbindungen zu den größten Banken. Er baute gegen die Sachbearbeiterin J. S. den größten Druck auf, den er konnte. „Wir sagten, wir würden sie persönlich auf Schadensersatz verklagen“, sagt er. Es ging um Summen, die ihre finanzielle Existenz komplett zerstören würden. …