MIETERPARTEI – Nicht nur ein Thema

Aus dem eigenen Einkommen mehr als nur das Allernötigste zum Überleben zur freien Entscheidung zur Verfügung zu haben, ist ein zentrales Freiheitsthema. Das Materielle im Leben ist zwar nicht alles, aber dass alle Bürgerinnen und Bürger einer neuzeitlichen europäischen Zivilgesellschaft Zugang zu einem Haushaltseinkommen haben müssen, dass mehr abdeckt als nur das Satt-Sauber-Dach-über-dem-Kopf-Überleben ist eine substanzielle Demokratiefrage.  Wenn Eltern und Erziehende kaum noch die Möglichkeit haben, eigene Entscheidungen treffen zu können, ob (und wieviel) sie zum Beispiel für die Zukunft ihrer Kinder ausgeben oder zurücklegen wollen, wenn Menschen gar nicht mehr zu überlegen brauchen, wohin sie vielleicht einmal ein paar Tage in den Urlaub fahren wollen, wenn Menschen Alpträume plagen in der Erwartung, dass demnächst vielleicht das Auto, der Kühlschrank oder die Waschmaschine ersetzt werden muss, aber am Ende des Monats nicht mehr genug Geld übrig ist.

In einem Interview mit dem Südwestfunk teilt der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Scheele, mit, dass in Ballungszentren in Menschen immer mehr Menschen einen Zweitjob annehmen, damit sie ihre Miete noch bezahlen bzw. Mietsteigerungen auffangen können, um ihren bisherigen Lebensstandard aufrecht erhalten zu können. Früher gab es einmal die Idee, dass es Aufgabe der Sozialversicherungen ist, um bei bestimmten Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Unfall, Krankheit oder nach der Verrentung den gewohnten Lebensstandard beibehalten zu können. Heute wird mehr und mehr Realität, dass die Beibehaltung eines Lebensstandards (also auch da Behalten der bisherigen Wohnung) einen Zweit- oder Drittjob erfordert. Gegen diese Auflösung des europäischen Zivilisationsmodells hilft nur, den politischen und gesellschaftlichen Kräften, die diese Entwicklung zu verantworten haben, die rote Karte zu zeigen und sie vom politischen Spielfeld zu nehmen.

Die Mietenfrage ist deshalb beileibe keine reine “ein-Themen”-Frage, sondern ein essentielles Bürgerrechtsthema. Das Spannungsfeld, wie würdig oder unwürdig die Beschäftigungsverhältnisse für die Normalbevölkerung sich entwickeln, wie es um die Einkommen in den unteren und mittleren Einkommensgruppen bestellt ist, wie sehr Menschen die aus der Erwerbsarbeit herausfallen in der Sozialbürokratie als Staatsbürger eines demokratischen Staates angemessen und respektvoll behandelt werden, oder ob sie nur einer Gängelungs- und Schikane-Bürokratie ausgesetzt werden, die Frage ob in unserer Gesellschaft Menschen, die normale Berufe und Tätigkeiten ausüben damit überhaupt noch eine Chance auf ein auskömmliches Einkommen haben, ist eine ganz essentielle Legitimationsfrage für unsere Demokratie.

Die MIETERPARTEI versteht sich daher ganz bewusst als Grundrechtepartei, weil die Wohnungs- und Mietenfrage als zentrales Feld unmittelbar mit der Rechtspolitik, Sozialpolitik, Arbeits-“markt”-politik, Finanz-, Steuer- und Abgabenpolitik (und anderen) verknüpft ist.

Die Mieten- und Wohnungsfrage ist aber auch mit vielen Fragen der Gesundheitspolitik verknüpft: nicht nur weil z. B. gerade chronisch kranke Menschen in besonderer Weise in den Großstädten von Gentrifzierung bedroht werden, sondern weil generell Menschen die aus gesundheitlichen Gründen von Einkommensverlusten betroffen sind von unserem Gesundheits- und Sozialversicherungssystem eben nicht in der Weise geschützt werden, dass z. B. der Wohnungsverlust verhindert wird. Gleichzeitig fehlt in unserem Gesundheitswesen zu oft für Betroffene eine ausreichende konkrete Unterstützung, wenn es beispielsweise darum geht nach einem Unfall, einer schweren Erkrankung oder bei Pflegebedürftigkeit notwendige Ein -oder Umbauten in der bisherigen Wohnung vorzunehmen, um es Betroffenen (besser) zu ermöglichen, trotz einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nach Möglichkeit weiter in ihrem gewohnten Umfeld, also vorzugsweise eben auch der bisherigen Wohnung, wohnen bleiben zu können. Auch hier ist die Wohnungs- und Mietenfrage ganz viel mit vielen konkreten Details unseres Gesundheitssystems und Sozialsstaats verwoben, und in viel zu vielen Fällen eher zum Leidwesen vieler Betroffenen bisher viel zu oft noch unzureichend geregelt.

Gleichzeitig bestehen aus der baulichen Perspektive aber ebenfalls viele unmittelbare Verknüpfungen mit vielen anderen politischen Handlungsfeldern: z. B. erneut die Gesundheitspolitik, wenn es um die Frage falscher bzw. gesundheitsgefährdender Baustoffe oder sonstiger bauliche Fehler oder Mängel geht, die gesundheits- oder umweltbelastende Folgen nach sich ziehen können, die Umwelt- und Energiepolitik hinsichtlich aller Fragen die mit Baustoffen und realen energetischen Bilanzen im Bau- und Wohnungsbereich zu tun haben, die gesamte Raumordnungs- und Städtebaupolitik, die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, denn Wohnungen können ja niemals losgelöst von einer Einbindung in Verkehrs- und sonstige Infrastrukturen existieren – all diese Bereiche gehören unmittelbar zu einem Handlungsfeld ausgehend von Wohnungs- und Mietenfrage.

Die Wohnungs- und Mietenfrage ist aber ebenso ein ganz essentielles Generationenthema: Familienpolitik, das Zusammenleben mit Kindern ist ohne die dazugehörige Wohnung gar nicht möglich. Für viele ältere Menschen sind die aktuellen Mietsteigerungen in Großstädten einerseits, der Abbau an Versorgungstrukturen in ländlichen Räumen andererseits eine unmittelbare Bedrohung ihrer Grundrechte. Denn wer auf dem Land keinen Arzt mehr findet, dessen Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse werden von diesem Staat nicht mehr garantiert. Wer in den Ballungszentren als alter Mensch, oft auch nach vielen Jahrzehnten, aus seiner Wohnungs herausmodernisiert wird, der wird unmittelbar in seinen Bürgerrechten angegriffen. “Einen alten Baum verpflanzt man nicht” diese Weisheit ist in unseren politischen, administrativen und wirtschaftlichen Führungseliten längst verloren gegangen. Denn anders wäre nicht zu erklären, dass ein Zivilisationsbruch, dass heute Menschen mit dem Wechsel in den Renteneintritt vorherprogrammiert mit dem Verlust ihres angestammten Wohnumfelds rechnen müssen, also für das Alter mit der Vertreibung aus ihrer Heimat rechnen müssen, von den Eliten in unserem Land als selbstverständliches Lebensrisiko (“das ist eben in einer Marktwirtschaft so”) befürwortet wird. Wir werden diese Aufkündigung unserer grundgesetzlichen Sozialstaatsgarantie für viel zu viele Menschen die in dieser Weise nach dem Renteneintritt vom Wohnungsverlust (vorherprogrammiert) bedroht werden nicht akzeptieren. Auf dem Wohnungs”markt” sind gleichzeitig viele junge Menschen die als Studierende nach Wohnungen an ihrem Studienort suchen zur Zeit unfreiwillig Gentrifizierungsmotoren: die Abzocke von Studierenden durch völlig überdrehte Mietpreise für in der Regel auch noch schlechten bzw. viel zu kleinen Wohnraum, ist ein Trend auf dem Immobilienmarkt, der von der Politik in unserem Land aber nicht nur einfach so hingenommen sondern im Gegenteil auch noch befeuert wird. Es ist beispielsweise im Land Berlin der rotrotgrüne Senat selbst, der mit maßlos überteuerten Studierenden-Appartments dem Marktmotto folgt “wir nehmen was wir kriegen können”, und damit aber selbst den weiteren Anstieg der Wohnkosten für alle Bevölkerungsschichten anheizt. Die Wohungs- und Mietenfrage ist daher nicht nur ein unmittelbares Feld für alle generationenpolitischen Handlungsfelder (Familie, Kinder, Jugend, Studierende, Rentnerinnen und Rentner), sondern wegen der besonderen Bedeutung von Universitätsstädten (sog. “hot spots” auf dem Immobilienmarkt) auch ein direktes bildungs- und hochschulpolitisches Thema.

Der Bausektor, damit die Auswirkungen auf die Kosten für Wohnraum, die z. B. im Zuge der “Modernisierungsumlage” nach § 559 BGB auf Mieterinnen und Mietern abgewälzt werden, ist ein wesentlicher Sektor unserer Volkswirtschaft. Die Regelungen für global auf den Finanzmärkten agierende Konzerne, die es diesen Erleichtern in vielen Ländern gleichzeitig mit großen Wohnungsbeständen zu spekulieren betreffen Mieterinnen und Mieter unmittelbar. Die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik ist mit der Wohnungs- und Mietenfrage zentral verknüpft, weil sich internationale Finanzmarktakteure, überall dort, wo Politik den Menschen die Funktion des Staates als Schutzmacht entzieht, an den Haushaltseinkommen der Menschen über die (steigenden) Wohnkosten bedienen können. Die Mietenfrage kann also politisch gar nicht ohne die grundlegende Ausrichtung der (internationalen) Finanz- und Wirtschaftspolitik betrachtet werden.

Integration ist ohne die direkte Verknüpfung mit der Wohnungs-, Regional- und Städtebaupolitik gar nicht möglich. Nur in realen Wohnquartieren und Wohnungen, gleich ob in ländlichen Regionen oder in großen Städten, können einwandernde Menschen integriert werden. Mögliche Zugangskonflikte zu Wohnraum sind für die Integrationspolitik eine potentielle Sollbruchstelle, Integrationspolitik ist also ohne den direkten Bezug zur Wohnungs- und Mietenfrage gar nicht möglich.

Und zu letzt ist die Wohnungs- und Mietenfrage auch ein sehr konkretes gleichstellungs- und frauenpolitisches Handlungsfeld: Frauen erhalten immer noch geringere Einkommen als Männer. Alleinstehende Frauen sind also solange ihre Einkommen niedriger sind, mit einem höheren Risiko der Vertreibung aus einem gewohnten städtischen Wohnumfeld konfrontiert, als ihre besser verdienenden männlichen Konkurrenten auf dem “Wohnungsmarkt”. Alleinerziehende sind nach wie vor in der Überzahl Frauen. Alleinerziehende Frauen haben nach wie vor in der Überzahl immense Schwierigkeiten Zugang zu regulärer Erwerbsarbeit zu finden, aus der sie ein auskömmliches Einkommen für sich und ihre Kinder erzielen können – alleinerziehende Frauen sind deshalb auf dem “Wohnungsmarkt” ebenfalls eine “Risikogruppe”, die es besonders schwer hat die bisherige Wohnung behalten oder eine gute neue Wohnung finden zu können. Hinsichtlich der Unterstützung anderer, innovativer, sozialer, solidarischer Wohnformen gerade für Menschen mit Kindern, Alleinerziehende, generationenübergreifende Gruppen – oder andere Interessierte – ist Deutschland gleichzeitig Entwicklungsland, weil diese (anderen) Wohnformen aus wirtschaftlicher Sicht so wenig lukrativ sind, dass sie auch keine Lobby in der politischen Landschaft haben.  Auch all diese Fragen können ohne eine neue Partei, die sich für die tatsächlichen Interessen von Mieterinnen und Mietern in Deutschland als “Lobby” versteht und sich entsprechend einsetzt nicht im Sinne der tatsächlichen Interessen von Mieterinnen und Mietern neu ausgerichtet werden.

Die bestehenden “etablierten” Parteien werden sich ohne einen schmerzenden Stachel in ihrem trägen Sitzfleisch aus eigenem Antrieb keinen einzigen Millimeter in der Wohnungspolitik hin zu einer echten sozialen, solidarischen, emanzipatorischen, freiheitlichen, bürgerrechtlichen, grundrechtsbewussten Wohnungspolitik bewegen. Weil sich aber ohne diesen schmerzenden Stachel nichts bewegen wird, braucht es in Deutschland eine MIETERPARTEI, die diesen Namen auch tatsächlich verdient, weil sie sich dadurch auszeichnet, dass sie die tatsächlichen Interessen von Mieterinnen und Mieter an die erste Stelle ihrer politischen Agenda rückt.

Das könnte dich auch interessieren …